Ein weites Feld by Günter Grass

Ein weites Feld by Günter Grass

Author:Günter Grass [Grass, Günter]
Language: deu
Format: epub
ISBN: 9783865215680
Google: _L9rtgAACAAJ
Publisher: Steidl
Published: 2007-05-14T22:00:00+00:00


20 Platzwechsel

Aber er kam nicht zur Ruhe. Den Abend lang und bis in die Nacht hinein strapazierte Fonty die rotchinesische Teppichbrücke in seiner Studierstube und wollte nicht auf Emmi hören, die immer wieder von der Küche aus anklopfte: »Nu laß doch das Rumgelaufe. Komm lieber was essen, Wuttke. Gibt belegte Schnittchen und Tomatensalat.« Er blieb beim Auf und Ab. Seit der Genesungsschrift über die Kinderjahre war er so anhaltend nicht unterwegs gewesen. Zwar hatte ihn kürzlich noch wer anders auf Reise geschickt, die arme Effi, deren schnell verbrauchtes Leben erst 94 vorabgedruckt und im Jahr drauf in gewohnt dürftiger Zahl, dann aber Auflage nach Auflage als Buch verbreitet wurde – da saß er schon am »Stechlin« –, doch jetzt erlebte er sich zurückgeworfen und wie auf verjüngtem Teppich. Frühe Erinnerungen gaben ihr Muster preis. Und alles wollte benannt werden: »Chinapomade und Salmiakpastillen. Gustav Struves Salomonis-Apotheke. Briefe an Wolfsohn. Mit Richard Kersting hinterm Ladentisch. Und eines Tages kam das junge Ding, die Gärtnerstochter aus der Neustadt, und wollte Lebertran für ihr Brüderchen … Ach, Lena Strehlenow … Alles im Stillverborgenen … Buchten im Schilf … Küsse, so heiß … Doch jede Heimlichkeit hat dieser Spürhund, dessen Schnüffelnase vom Leipziger Herwegh-Club bis ins liebliche Dresden auf Spur blieb … Alles hat er herausgespitzelt, sogar ihr Muttermal unterm Herzen und daß ihr aschblondes Haar eher dünn gewesen ist. Ach, Lena! Ihre schmalen, dennoch praktischen, vom Umtopfen, Unkrautverziehen immer rissigen Hände. Sie sang gern, wenn auch mit kleiner Stimme nur, sobald uns auf den Elbwiesen oder beim Rudern nach Freiheit oder zum Singen war. Ach, was ist aus den radikalen Freunden geworden? In Leipzig waren wir sechs bis acht Mann schwach. Zwei -Blum und Jellinek – wurden später in Wien füsiliert. Zwei gingen in Amerika vor die Hunde. Zwei weitere wurden sächsische Philister. Nur Wolfsohn blieb. Und Max Müller, der Sohn des Dichters der Müllerlieder, kam in England zu Ruhm. War kundig in Sanskrit, gab der Queen Unterricht, beriet das Empire in allem, was Indien betraf, weshalb noch heute dort Kulturinstitute, die anderswo nach Goethe benannt sind, Max Mueller Bhavan heißen. Jedenfalls wurde er was, als einziger, wenn man vom sprichwörtlichen ›Erschossen wie Robert Blum‹ und vom Unsterblichen absieht, der sich zu drehen, zu wenden wußte und all die freiheitsbesoffenen Freunde überlebt hat, mehr schlecht als recht. Mit ihm überwinterte die arme Effi, natürlich der Alte, der ungern mit Vornamen Dubslav hieß. Immer wieder wuchsen wie Spitzwegerich die Treibels nach. Unverwüstlich Mathilde Möhring. Mit Schach hat die Furcht vorm Lächerlichsein überdauert. Ein paar Balladen, nicht totzukriegen. Aber auch Lene blieb, dieser trotz Aussparung jeglichen Bettgeflüsters volltönende Nachhall eines kurzen, nein, Mal um Mal verlängerten Dresdner Glücks, das über sechs oder sieben Jahre anhielt, jedenfalls wiederholt in Blüte stand, sogar die Verlobung mit Emilie wie nebensächlich hinnahm, sich dabei – und sei es aus Angst vorm Ende – steigerte, so daß dem Elbwiesenglück zwei heimlich gehaltene Kinder zuzurechnen sind, von denen nur die erstgeborene Mathilde alle Krankheiten überlebte, während Ernestine bald, nach nur zwei Jahren



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